Earl Grey

Beginnen wir mit einer Enttäuschung: morgens in einem anonymen Business-Hotel irgendwo in Deutschland, die Erfahrung lehrt: der Kaffee geht gar nicht, Tee ist wesentlich weniger riskant, also: Tee! Der allgegenwärtige Beuteltee ist hier in kleinen Holzkästchen ausgestellt, vermeintlich edel, einzeln eingesiegelt – probieren ich den. Earl Grey, in meiner Erinnerung ein angenehmer Beginn für den kommenden Arbeitstag, mit erfrischenden Zitrusaromen; so früh am Morgen wollt ich´s nicht hinterfragen: wer das macht, wie das hergestellt wird, einfach ein leckeres Kännchen Tee zum Müsli. . .
Hätte ich besser sein lassen, der Tee schmeckte bestenfalls nach gequältem Wasser, von den erfrischenden Aromen der Bergamotte nichts aber auch GAR nichts zu entdecken.

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Zurück zu Hause habe ich die Erfahrungen der vergangenen Jahre Revue passieren lassen, einige Proben aus zuverlässigen Quellen besorgt und mir Gedanken darüber gemacht, woher die Qualitätsunterschiede stammen und wie man zu einem besseren Ergebnis kommen kann.
Da ist natürlich zuallererst der Tee: Frische und Qualität müssen einwandfrei sein. Zudem das Aroma: nichts anderes als das ätherische Öl der Bergamotte, einer Zitrusfrucht, die in Süditalien beheimatet ist. Fertig! Traditionell wurde für EarlGrey hauptsächlich Chinesischer Tee verwendet, diese Beschränkung wollen wir heute nicht mehr akzeptieren: für einen ersten eigenen Versuch also drei Kandidaten: Darjeeling second flush (die sogenannte zweite Ernte) von der Plantage Chamong (im Bild oben in der Mitte), ein Assam Mangalam (ein edler Assam Blatt-Tee mit feiner Malznote) im Bild unten rechts und ein einfacher, namenloser FBOP im Bild unten links. FBOP steht für flowery broken orange pekoe, ein broken-tea aus “gebrochenen“ Blättern wodurch unter Anderem die Ergiebigkeit erhöht wird. Ein einfacher aber in der Tasse schöner, harmonischer Alltagstee.
Bergamotte, das ätherische Öl dieser Zitrusart, einer Hybride unklarer Herkunft, (Citrus Bergamina) kann man nicht im Supermarkt kaufen, Apotheken allerdings können es problemlos beschaffen und freuen sich über Kunden, die mit nicht alltäglichen Wünschen kommen.

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An dieser Stelle sei angemerkt: Ätherische Öle sind nicht zum Spielen da. Kontakt der unverdünnten ätherischen Öle mit Augen, Schleimhäuten und Haut sollte vermieden werden. Bergamotte-Öl führt auf der Haut zu deutlich erhöhter Lichtempfindlichkeit.
Wer sich seiner Sache nicht sicher ist, hört an dieser Stelle auf und trinkt seinen Tee unaromatisiert.

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Für alle Anderen gilt: Aromenexperimente bringen uns dem Genuß näher und eröffnen uns die Möglichkeit, genau den EarlGrey zusammen zu stellen, der unseren Vorstellungen entspricht.
In diesem Moment stellen sich ganz praktische Fragen: welche Dosis Bergamotte ist für den jeweiligen Tee richtig und wie appliziert man das Öl auf den Tee? Wie sorgt man für eine gleichmäßige Verteilung des Aromas? Muß man das mischen und wenn dann wie? Zur Theorie: ätherische Öle sind flüchtig, bei Zimmertemperatur verdampfen sie mehr oder weniger rückstandsfrei. In einem geschlossenen Behälter, locker zur Hälfte mit Tee gefüllt sollte sich also eigentlich das ätherische Öl im Laufe der Zeit ganz von allein mit den Teeblättern vermischen. In der Praxis: 50g Darjeeling in ein sauberes Marmeladeglas mit fünf Tropfen Bergamotte beträufelt, zugeschraubt und einige Male locker gewendet ergibt nach einem Tag der Ruhe schon einen traumhaften EarlGrey, der diesen Namen mit Stolz tragen kann!
Ganz zufrieden mit der Handhabung war ich dennoch nicht, die Tropfflasche wollte nicht exakt dosieren, das war mehr ein Rinnen als ein schönes einzelnes Tropfen. Der besseren Wiederholbarkeit wegen also ein zweiter Versuch, diesmal mit mit einer Pipette: so kann ich das empfehlen!

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Was die einzelnen Teesorten angeht: der Darjeeling ist bis auf Weiteres mein Favorit! Der Charakter des Basistees bleibt vollständig erhalten, als second flush ist er kräftig genug, um eine schöne Balance mit dem Bergamotte-Aroma zu ergeben. Der Assam ist mit seinem Malz-Charakter zu eigenständig, will die Aromatisierung nicht, der FBOP als broken-tea kommt etwas unelegant daher. Weitere Versuche mit Tees aus Ceylon und China werden folgen.
Für die weitere Perfektionierung habe ich zuletzt noch einen kleinen Parfum-Zerstäuber erstanden und versuche damit die Gleichmässigkeit der Aromatisierung noch zu verbessern.
Viel Spaß beim Experimentieren und viel Genus beim Trinken!

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3 Antworten zu Earl Grey

  1. Mario Kick sagt:

    Danke!
    Als Teetrinker, der vor ca. 15 Jahren Earl Grey entdeckte und über verschiedene Sorten zur hausgemachten Variante des lokalen Teehändlers kam, habe ich mich oft gefragt, ob man ihn nicht auch selber aromatisieren kann. Anscheinend ja. Ich werde es demnächst auch mal versuchen.
    Herzlichen Dank für die Anregung.

  2. Anita sagt:

    :)… oh…und bei mir gab es nur Kammerbeutel-Tee…… Dann werde ich wohl nun mit dem experimentieren anfangen:)

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